Titel Dirt
Jahr 1992
Note: 5/5 Michael Lohrmann, Visions
Eigentlich dürfte ich dieses Album gar nicht besprechen, weil Objektivität an dieser Stelle so gut wie ausgeschlossen werden kann.
Seit dem Zeitpunkt, als im Winter 1990 das Debüt „Facelift“ veröffentlicht wurde, waren Alice In Chains etwas ganz Besonderes. Genau zwei Jahre später, wiederum passend zur Herbst/Winter-Phase, erscheint mit „Dirt“ nun also der zweite reguläre Longplayer (lässt man die EP „Sap“ einfach mal außer Acht), und eigentlich war schon vor Veröffentlichung klar, dass dieses Album einfach nur beeindrucken würde. Keine Fehleinschätzung. Denn „Dirt“ ist eine Steigerung zu „Facelift“. Vor allem ist es Pflicht, dass „Dirt“ in einer trüberen Jahreszeit erscheint. Das Quartett aus Seattle macht keine Sommermusik passend für Grillfeten und Badespaß. Nein, du lehnst dich vielmehr zurück und entspannst, genießt es, von wunderbaren Melodien und einer fast unvergleichlichen Ausdrucksstärke eingelullt zu werden. Dabei stellst du die Heizung höher, trinkst einen Kakao und beobachtest, wie der Wind kräftig durch das Herbstlaub fährt. Atmosphäre entsteht. Die Klanggebilde gehen unter die Haut, unglückliche Textpassagen wirken in selten erlebter Intensität auf dich ein, du schließt die Augen, deine Mundwinkel ziehen sich langsam nach unten… und trotzdem, du fühlst dich hervorragend. Alice In Chains sind Balsam für die Seele.
Diese Band drückt so viele Dinge aus, die eventuell auch schon für deine eigene Existenz von Bedeutung waren; teilweise kommt es dir vor, als wären Alice In Chains eine Art Reflektion, ein Spiegel, in dem du dich immer deutlicher erkennst. Von daher ist es wichtig, dass Layne Staley über ein absolut charismatisches und intensives Organ verfügt, welches mögliche Gedanken so unmittelbar erscheinen lässt. Und es ist beeindruckend, dass Alice In Chains eine ganze Tonne schwerer kommen, die Musik zeitweise regelrecht erdrückend wirkt. „Hate To Feel“, „Down In A Hole“ und der Titeltrack stehen dafür als bester Beweis. „Dirt“ strotzt so dermaßen an Gefühl, dass es schon fast egal ist, ob Layne Staley wirklich noch besser als auf „Facelift“ singt oder die komplette Band den spielerischen Level weit ausbauen konnte („Would?“). Gegen Alice In Chains erscheinen Temple Of The Dog fast gefühlskalt, daran muss man diese Band messen. Alice In Chains wirken eindringlicher denn je. Genau das ist es, was diese Band ausmacht, und höchstwahrscheinlich wird genau das der Grund sein, warum diese Band groß wird. Eine der drei wichtigsten Veröffentlichungen dieses Jahres. Unumgänglicher Pflichtkauf.